An Elhadj 2024

Lieber Elhadj,

vor genau einem Jahr saß ich umgeben von sommerlichen Temperaturen und unmittelbar nach dem Besuch des Schulterrains voller Emotionen am PC vor einer leeren Seite. Auch wenn uns geografisch nun wieder 6.000 Kilometer trennen, sind die Gedanken auch im kalten deutschen Januar nicht weniger emotional. Seit deinem tragischen Unfalltod vor nunmehr 6 Jahren (2190 Tage!) ist so viel passiert und doch so viel gleichgeblieben. Vor wenigen Tagen traf ich im Rahmen einer besonderen Abendveranstaltung auf einen Mann, der offenbar schon von dem Projekt und mir gehört hatte und der mich bat, den Kern des Ganzen zu erklären. „Puuuh“, dachte ich, „wo fange ich an und wo höre ich auf?“ Seine spannende Frage sorgte schließlich dafür, dass ich von dir und unserem gemeinsamen Start berichtete, wie wir zunächst eine Schulpartnerschaft aus Briefen entwickelten und… – plötzlich fiel mir der Mann ins Wort: „Es geht also im Kern um die Menschen?“ „Ja“, sagte ich, „exakt das ist der Antrieb von allem: die Begegnungen zwischen Menschen.“ 

Das Lächeln meines Gegenübers und auch von mir selbst erinnerte mich an die zahlreichen gemeinsamen Veranstaltungen, die wir in Deutschland und Senegal erlebt haben. Immer wieder waren es die Begegnungen, die uns faszinierten, antrieben und uns schließlich den Ruf der „Brückenbauer“ bescherten. Sicherlich erinnerst du dich noch an das kurze Gespräch mit Herrn Steinmeier 2016 in Berlin, als er etwas verdutzt und dann eben doch lächelnd sagte: „Ach so, Sie sind Brückenbauer.“ Eben jenen Steinmeier – mittlerweile nicht mehr Außenminister, sondern Bundespräsident – traf ich im Sommer 2023 zum zweiten Mal im Rahmen seines Bürgerfestes (Motto: „Im WIR verbunden“). Es gelang mir erneut, ein kurzes Gespräch mit ihm zu führen, unsere Wanderausstellung „Reale Afrikabilder“ als Bildband zu überreichen und seine mutmachenden Worte gebühren auch dir: „Machen Sie weiter so, Sie leisten großartige Arbeit für diese Welt.“ Dieser Moment war insofern besonders, als dass ich unsere mittlerweile fünfjährige Tochter an meiner Seite hatte, die mich ganz trocken fragte: „Papa, wer war das?“ Mit genau dieser Unbekümmertheit haben auch wir beiden Autoritäten, Prominente und andere MENSCHEN getroffen, uns ging es stets um die Sache, nie um uns – das ist auch heute noch so, leider kann ich derartige Treffen nicht mehr mit dir, sehr wohl aber in deinem Sinne gestalten. Und so schrieb ich voller Stolz in das ausgelegte Buch „Fragen unserer Zeit“ in der Kategorie „Weisheiten, die mich bis heute begleiten“:

„Wer die Jugend erreicht, erreicht viel.“ Dieses Zitat des viel zu früh verstorbenen Lehrers und Brückenbauers Elhadj Diouf ist für mich und viele andere des Osteroder Modells mit Kaolack Antrieb, Bestätigung und Motivation zugleich. EINE Welt fängt bei jedem selbst und in frühester Jugend an.“

(Tobias Rusteberg, Lehrer, Brückenbauer, Mitinitiator der Elhadj Diouf Foundation)

Apropos Begegnungen: Auch im vergangenen August kam eine Delegation aus Kaolack nach Osterode und das Motto der Begegnung „Let´s act TOGETHER and NOW“ hätte dir große Freude bereitet. Einmal mehr sind aus dieser Zeit Junior-Botschafter*innen hervorgegangen, die unsere Brücke erweitern und durch ihr Engagement für EINE Welt mit Leben füllen. Rund um den Jahrestag deines tragischen Unfalls passieren auch wieder großartige Dinge, die zeigen, dass deine Lebensphilosophie (s.o.) mehr als zutreffend ist. Übermorgen präsentieren wir unseren Film „Reale Afrikabilder“ im Herzberger Kino, nachdem dieser bereits den vollgefüllten Musiksaal unserer Schule zum Jubeln brachte. Unsere allererste Kinovorstellung mit dem Film „Senegal – Land und Leute“ am 07.02.2016 hast du mit großer Freude verfolgt, auch damals kommentiertest du so zutreffend: „Ihr Deutschen seid positiv verrückt. Ein Rentner (DANKE an G. Lüer aus Wulften) filmt eure Reise und ihr begeistert damit Menschen in einem Kino.“ Ich bin mir sicher, dass uns genau das auch in diesem Jahr gelingen wird…

Am 15.01. wird Senegal (amtierender Afrikameister) mit dem Spiel gegen Gambia (du sagtest immer „die Zunge in Senegals Mund“) ins Turnier starten. An dem Tag wird mindestens ein Spieler auf dem Rasen genau wissen, welch besonderes Datum dies für viele Menschen in Osterode, Kaolack und anderen Teilen dieser Welt ist. Unsere Brücke wächst und auch die Akteure werden immer mehr…

Mittlerweile wird unsere Stiftung nicht nur regional, sondern auch national und international (England, Frankreich, USA, Kanada) wahrgenommen. Wir haben u.a. in Düsseldorf eine Partnerstiftung kennengelernt, bei der es von Anfang an derart gemenschelt hat, dass wir uns Freunde nennen. Es ist diesen Herzenstätern zu verdanken, dass wir auf dem Nachbargelände des Schulkomplexes eine Spiel- und Sportstätte für die senegalesische Jugend errichten können. Du hättest deine wahre Freude daran gehabt, diese und so viele weitere Akteure (z.B. in Hamburg, Dresden, Heidelberg, Erlangen und Osterode) kennenzulernen. 

Auch familiär sind es bei uns nun drei Sprösslinge, die das Foto von „Onkel Elhadj“ in unserer Stube bewundern. Nati hat – und das ist nicht abgesprochen – noch immer euer Foto nahe des später gepflanzten Baumes „Elhadj Diouf“ in ihrem WhatsApp-Profil und auch in der Röderstraße bist du Teil der Familiengalerie in der Stube. Während unsere große Tochter schon dezidierte Fragen zum Leben in Senegal stellt, fragt unser Mittlerer beim Blick in die Sterne „Wo ist Onkel Elhadj?“ und dass, obwohl wir den kleinen Prinzen noch nicht gelesen haben. Kinderbücher wie „Zusammen unter einem Himmel“ sind nichts anderes als die Illustration auch unserer grenzenlosen Freundschaft. 

Genau diese Freundschaft vereint alle Akteure von EDF und AKS. Elhadj, die Leistung von Bassirou und seinem Team ist mit Worten kaum zu beschreiben. Seit bald zwei Jahren verbringen sie im Wechselmodell jeden Tag auf der Baustelle und die Begeisterung über den Baufortschritt, den wir im Januar live erleben durften, ist längst einer gewissen Sprachlosigkeit gewichen. Man muss sich hier und da schon kneifen, dass dies kein Traum, sondern Realität ist oder – besser formuliert – dass unser Traum zur Realität wird: In wenigen Monaten werden wir das Kindergarten-, Schul- und Sanitätsgebäude auf dem Komplex „Elhadj Mamadou Diouf“ eröffnen. Zudem wird ein „Spiel- und Sportkomplex“ eingeweiht (s.o.). Wir werden Ende Mai mit einer Schul- und Stiftungsdelegation vor Ort sein, auch hier fallen wieder Daten aufeinander, die eigentlich kein Zufall sein können. 

Unsere allererste Reise (s. Kinofilm 2016) endete an einem 24. Mai, diesmal startet unsere Reise an besagtem Datum. Während wir damals die Friedenstaube eher symbolisch dabeihatten (s.o.), hat sich die Lage auf der Welt im vergangenen Jahr (u.a. Ukraine, Israel) dramatisch verändert: Unser postalischer Friedensgruß mit Friedenstaube ist nunmehr ein Akt der Hoffnung auf bessere Zeiten. Die Welt könnte so einfach sein, würde man viel stärker auf Gemeinsamkeiten statt auf Unterschiede schauen. Genau das ist auch das zentrale Ergebnis unserer vielbeachteten Ausstellung, welche im vergangenen Jahr u.a. im Niedersächsischen Landtag zu bewundern war. Wir sind – wie du es auch zeitlebens immer vorgelebt hast – mit Fragen (nicht mit Antworten) in dein Heimatland gereist und wir haben den Menschen zugehört. Es war beeindruckend und berührend zugleich, welch großartige Botschaften diese inspirierenden Persönlichkeiten gesendet haben. Ähnlich erging es uns im Jahr 2016. Wir wurden beide hintereinander im „Harz Echo“ (ein kleines Blättchen, das es seit 2023 nun nicht mehr gibt) in der Kategorie „Nachgefragt“ vorgestellt. Von den 15 Antworten, die du gegeben hast, scheinen aus heutiger Sicht mindestens drei wie Hausaufgaben oder gar Prophezeiungen. 

1.) Sie haben einen Wunsch frei. Was würden Sie sich wünschen? 

„Die Senegalexperten vom TRG sollen auch andere Deutsche auf die nächsten Reisen vorbereiten. Zudem wünsche ich mir, dass die Filme und Fotos aus Afrika nicht touristisch, sondern von echten Freunden gesehen werden.“

2.) Was würden Sie in Ihrem Wohnort ändern? 

„Meine Heimatstadt Kaolack müsste sauberer gehalten werden.“

3.) Erfunden werden müsste unbedingt noch?

„Ein Osteroder Haus in Kaolack (…).“

Ad 1: Genau das macht all unsere Reisen, diesmal den Film und die Wanderausstellung, aus. Wir schauen als Freunde und stets mit dem Herzen. D. Kühne (welch Bereicherung unserer Brücke, DANKE für all dein Herzblut und deine Zeit) ist es gelungen, berührende Momente einzufangen, damit diese wieder andere Menschen bewegen. Nur gemeinsam und im Miteinander können wir wirklich reale Vorstellungen vom Leben hier und dort erhalten. 

Ad 2: Tatsächlich hat sich so viel Gutes in Kaolack getan. Die städtische Kooperation mit einem Müllunternehmen hat das Stadtbild deutlich zum Positiven verändert und wir durften bei einer Müllsammelaktion auf dem Gelände deines einstigen Gymnasiums einige dieser change agents persönlich kennenlernen. 

Ad 3: Der Bildungskomplex wird ein Ort der Hoffnung und Inspiration. Diese Ausmaße hätten wir beiden uns niemals vorstellen können und es ist so schön,  dass dein Name auf diese Weise ewig in Kaolack erklingen wird. In den wenigen Momenten des Innehaltens auf dem dir (und somit der senegalesischen Jugend) gewidmeten Terrain habe ich immer wieder an einige Zeilen des folgenden Gedichts gedacht, welches dir Deutschlehrerkollegen als Nachruf verfasst haben: 

„Früh aufstehen, spät ins Bett gehen – so wie die Sonne im Sommer hast du gelebt, mein Freund. (…) Voller Energie hast du sie jeden Tag zugunsten der anderen entleert. (…) Auch für die Osteroder warst du wie die Sonne im Sommer. (…) Doch an einem 15. Januar bist du sicher wieder früh aufgestanden, aber leider wie die Sonne im Winter, früh, zu früh hast du uns verlassen. (…) Und jede und jeder konnte dann empfinden durch die Kälte, die in unsere Seelen eindrang und auch auf den dunklen Gesichtern von allen, dass unsere Sonne heute früh untergegangen ist. Aber es verbleibt die Hoffnung, dass du wieder anderswo eine Sommersonne wirst, die noch schöner scheinen könnte.“

(Deutschlehrerkollegen als Nachruf )

Es wirkt, als sei dieses anderswo gar nicht so weit weg von deinem früheren Wirken. Schon jetzt umgibt das „Terrain de Coeur“ eine besondere Energie, die zum Greifen nah und eine unerschöpfliche Quelle der Motivation ist. Die Arbeiter vor Ort habe ich „Helden“ genannt, da sie aller Hitze zum Trotz einen Zukunftsort für ihr eigenes Land schaffen. Genau diesen Zauber wird auch ein deutsch-australisches Multifunktionsplatztandem kennenlernen, wenn es in Kürze aus dem schönen Erlangen / Melbourne nach Kaolack reist und einen weiteren besonderen Ort für die Jugend gestaltet. 

Auch innerhalb unserer Stiftung spielen die EDF-Kinder eine gewichtige Rolle: So hat die AKS das Wartezimmer im Blauen Haus nach C. Becker – der viel zu früh verstorbenen Tochter unseres Stiftungsvorsitzenden – benannt. Diese Widmung ist mehr als eine Geste, sie ist eine Herzenstat von besonderen Menschen für besondere Menschen. A. Stach – Sohn des Stiftungsrates M. Stach – ist mittlerweile Fußballprofi bei der TSG Hoffenheim und er hat seine Reichweite für die Aktion „Bildung statt Böller“ genutzt. Darüber hinaus plant er noch weitere Initiativen zugunsten unserer Stiftung. Sein Lob („Das ist wirklich der Wahnsinn, was die auf die Beine stellen.“) ist eine Ehre und Motivation zugleich. Dies sind zwei weitere Beispiele dafür, dass die Jugend zu jeder Zeit Antrieb und Ziel unserer Brücke war, ist und auch immer sein wird. 

Persönlich möchte ich ergänzen, dass einmal mehr Geburt und Brücke eng miteinander verwoben waren. Durfte (eher musste) ich im August 2021 noch wichtige Papiere für die Baugenehmigung aus dem W-Lan der Geburtenstation nach Kaolack senden, so stand ich im vergangenen August an gleicher Stelle in stetigem Kontakt zu den aktuellen Begegnungsakteuren. Kaolack war zu Besuch, ich nach einigen Begegnungstagen aus erfreulichen Gründen „raus“ und erstmals reisten nicht wir nach Berlin, sondern eine Delegation von Engagement Global stattete unserer Brücke einen Besuch ab. Dass dies am Tag der Geburt unserer Tochter stattfand, mag in diesem verrückten Lebensprojekt keine Überraschung mehr sein;-). Die Begegnung hat einmal mehr bewiesen, dass die Akteure mittlerweile vielzählig sind und dass die regelmäßigen Workshoptreffen der Jugendlichen den Kern unserer Zusammenarbeit bilden. 

In diesem Sinne werden wir unsere Herzensgeschichte mit aller Kraft und Zuversicht fortschreiben (auch im Spätsommer 2024 erwarten wir eine Delegation aus Kaolack in Osterode) und ich freue mich bereits heute auf den Januar 2025. Dann werde ich dir hoffentlich von den ersten Kindergarten- und Grundschulaktionen im Bildungskomplex „Elhadj Mamadou Diouf“ berichten können.

Ruhe in Frieden – Brückenbauer, Freund und Bruder!

Du lebst weiter in unseren Herzen und durch unsere Taten.

Gno far, toujours ensemble.

Tobias

Wulften, 12.01.2024

Elhadj Diouf schaute täglich auf der Baustelle des neu entstehenden PASCH-Raumes an seiner Schule vorbei. Diese Aufnahme ist vom 02.12.2017. Es scheint, als würde er auch auf dem Terrain de Coeur ständig dabei sein. Der Montag (Tag des tragischen Unfalls) heißt zwischen EDF und AKS nicht mehr „lundi“, sondern „jour d´Elhadj“. Auch in 2024 fällt der 15. Januar auf diesen Wochentag… 

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