Nachruf 2023

Lieber Elhadj,

seit einigen Tagen sind wir mit einer 19köpfigen Delegation in deiner Stadt und ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass ich dich hier an so vielen Orten sehe und durch Mund und Herz deiner Mitmenschen höre. Mindestens genauso stark spüre ich, dass mich die Menschen untrennbar mit dir verbunden sehen, was Ehre und Verpflichtung zugleich ist. Ehre, weil du wie kaum jemand anderes mit deinem Lächeln und deiner Herzlichkeit die Menschen bewegt hast. Verpflichtung, weil jede Silbe gut gewählt sein will. Wie oft habe ich während dieser Begegnungsreise an dich gedacht und mich gefragt, was du sagen und in welcher Situation du lächeln würdest samt der jeweiligen Reaktion deines Umfeldes.

Ob im Künstlerdorf, an Grund- und Privatschule sowie Lycée oder bei deiner Familie: Man spürt auch nach 5 Jahren noch, was du Kaolack mit deinem Wirken geschenkt und welch große Lücke du hier auf Erden hinterlassen hast. An jedem Tag passierten wir die Unglücksstelle, welche in Sichtweite deiner Schule liegt. Uns wurde mehrfach gezeigt, welche Art von Lastwagen das Unglück verursacht hat und wie genau dieser verdammte 15. Januar 2018 abgelaufen ist. Hier hört man nie nur Worte, sondern immer Emotionen. Es sind die Herzen, die du auch nach deinem Tod noch immer zum Sprechen bringst. Ich bin mir sicher, dass du dort, wo du bist, mit deinem Lächeln und ganz viel Stolz auf die Brücke blickst und dir denkst: „Dieses Projekt ist völlig verrückt.“

Vor wenigen Tagen betrat ich den Schulhof der Grundschule Sam 2, die mittlerweile eine altersgerechte deutsche Partnerschule (GS Lasfelde) hat, und ich erinnerte mich an so viele gemeinsame Momente. Dein Wandbild ist in einem adäquaten Zustand, wenngleich man ihm die vergangene Zeit durchaus ansieht. Doch vielmehr ist es dein Blick und die Lage – du schaust auf den Schulhof und zur Jugend – die mir zeigen: Elhadj ist noch immer da, das Viertel Sam denkt an ihn und viele Menschen sehen in mir nun unser gemeinsames Wirken. Genau daher bat ich darum, mein Bild gegen das der neuen Grundschulpartnerschaft zu tauschen. Wer dich ansieht, sieht die Brücke und somit mich und viele andere.


Nicht weniger bewegend war es, im nach dir benannten Flügel der Privatschule zu dinieren und auch dort die „témoignagesde coeur“ zu erleben. Es ist die Kraft der Jugend und die Freude während der zahlreichen Begegnungen, die unsere Brücke errichtet hat, nun seit 10 Jahren trägt und hoffentlich ewig tragen wird. Ein unvergesslicher Moment ereignete sich während der Müllsammelaktion an deinem Gymnasium. Ich saß für einige Minuten alleine im 2017 gemeinsam eingeweihten PASCH-Raum und genoss die Stille samt der seltenen Möglichkeit, innezuhalten. Eine Schülerin kam herein und erkundigte sich, ob mit mir alles in Ordnung sei und ich erklärte ihr, dass ich einfach nur genieße. Kurz darauf teilte ich diese Freude mit meiner Familie im fernen Deutschland und bei all diesen Momenten warst du auf Fotos, im Herzen und auch via Wandmalerei dabei in deinem Espace Elhadj Mamadou Diouf. A propos Familie: Es war herzergreifend, zu sehen, dass deine Neffen und Nichten mittlerweile Jugendliche sind und dass unsere Familien sich noch immer so eng verbunden fühlen. Alle lobenden Worte deiner Schwester bezog ich auch auf dich, zumal wir nur gemeinsam erreichen konnten, was wir erreicht haben: Begegnungen zwischen Kontinenten, Ländern, Städten, MENSCHEN!

Während draußen die afrikanische Sonne gegen die Tür knallt, wage ich mich an eine Rückschau eines alle Erwartungen übertreffenden Brückenbaujahres: Nach über zwei Jahren Pandemie konnten wir endlich wieder Jugendliche aus Kaolack in Osterode begrüßen. Wir gewannen die höchste Auszeichnung für Schulpartnerschaften in Deutschland, ich traf sowohl Präsident Steinmeier als auch seine Exzellenz Macky Sall im Dienste unserer Brücke und unsere Stiftungsarbeit erreicht mittlerweile nie geahnte, aber immer erhoffte Höhen: Elhadj, in deinem Viertel steht ein cabinet médical, das dich begeistern würde. Hier setzen sich Menschen mit Herz und Sachverstand für andere ein und man spürt, wie wichtig eine medizinische Grundversorgung für alle ist. Du kannst sehr stolz auf deine Freunde der Association Koumbi Saleh sein, allen voran Bassirou Gakou, da sie sich komplett in den Dienst der Sache stellen und alles Mögliche sogar noch übertreffen. Es verwundert nicht, wenn man sie sagen hört: „Elhadj ist unsere Motivation und wir müssen sein Wirken fortsetzen. Nur so bleibt er bei uns.“

Wie im letzten Jahr angekündigt, läuft auch der Bau des nach dir zu benennenden Bildungskomplexes auf Hochtouren. Es ist unglaublich, aber wir alle können uns schon jetzt vorstellen, wie hier in naher Zukunft Kinder lernen, spielen und Begegnungen erleben werden. Dieser Ort hat schon heuteso viel von dem, was dich zeitlebens angetrieben hat: Fokussierung auf die Jugend, Lebensfreude, Visionen und Schaffenskraft. Die Arbeiter trotzen den heftigen klimatischen Umständen und so konnte selbst die Regenzeit den Baufortschritt nicht verhindern. Als wir zwei im Januar 2018 nahe Bassirous Poulailler über ein kleines Grundstück der Brücke philosophierten, wäre uns all dies wie ein Traum vorgekommen. Und genau das ist es auch so häufig. Vieles erscheint unwirklich, es ergeben sich Zufälle, die seltsam anmuten und die stets bereichernd für unsere Brücke sind. Wir werden von Privatpersonen, Firmen und anderen Stiftungen in unserem Vorhaben unterstützt und Tag und Nacht wirbeln wir, um dieses Lebensprojekt final finanzieren zu können.

Elhadj, du hast vor Jahren gesagt: „Wir suchen nach dem richtigen Weg, doch möglicherweise ist unsere Brücke dieser Weg.“ Mit völliger Gewissheit kann ich dir sagen: „JA, so ist es.“ Unsere vielschichtige Zusammenarbeit inspiriert mittlerweile auch andere und ich darf als Koordinator des Netzwerkes „Niedersächsische Schulen MIT Afrika“ selbst noch immer viel dazu lernen und unsere bisherigen Erfahrungen im Kreise von weiteren Brückenbauern weitergeben. Auch du hättest große Freude gehabt, in diesem besonderen Netzwerk mitzuwirken. Doch ob hier, bei ENSA, PASCH oder dem Goethe-Institut Dakar, deine Lebensleistung ist bekannt und geschätzt. Bis zum heutigen Tage habe ich keinen Menschen erlebt, der sich nicht gerne an dich, deine Freundlichkeit und dein Herzblut für andere erinnert. Elhadj, die Welt ist in den letzten 5 Jahren leider nicht einfacher und besser, sondern komplizierter und herausfordernder geworden. Klimawandel, Kriege und Krisen zeigen, dass wir nur gemeinsam und ohne Grenzen in den Köpfen und Herzen eine Welt der Mitmenschlichkeit, des Friedens und der Zuversicht erschaffen können. Manchmal ist es, als bilde unsere Brücke so eine Oase und Erfahrungsinsel für genau diese Werte. Du hättest, da bin ich mir sicher, deine wahre Freude an den Jugendlichen der aktuellen Begegnung, die musikalisch, sportlich und einfach allgemein aufeinander zugehen und ihre gemeinsame Zeit genießen. Während ich früher manchmal geschmunzelt habe, wenn du etwas Pause gefordert und dich als stiller Beobachter absentiert hast, erlebe ich genau diese Momente nun selbst als Kern der Brücke Osterode und Kaolack. Das Deutschlehrerteam am Lycée leistet großartige Arbeit und auch in deiner zweiten Wahlheimat sind viele Menschen direkt und indirekt im selben Boot.

Wie gerne hätte ich dir auch eines Tages unsere Kinder gezeigt, die dich immerhin von Fotos und zahlreichen Erzählungen kennen. Sei dir gewiss, du wirst immer Teil unserer Familie sein und wir werden eines Tages nicht mir dir, aber auf dich eine gekühlte Cola auf dem Schulgelände Elhadj Mamadou Diouf trinken. Ich und viele andere deiner deutschen und senegalesischen Freunde setzen deine Ideen von Bildung, Begegnungen und Perspektiven fort.

Ruhe in Frieden, Bruder.

Toujours ensemble – für immer zusammen.

Tobias

 

Kaolack, im Januar 2023

 

PS: In wenigen Tagen erwartet uns der deutsche Winter. Ob am Flughafen, in Osterode oder an vielen Stellen in Wulften: Auch dort sind es die vielen Erinnerungen, die dich weiter unter uns bleiben lassen. Ähnlich wie bei all unseren Reisen fahre ich auch diesmal lächelnd auf die andere Seite der Brücke. Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht, die Pläne für die Zukunft sind geschmiedet und nun heißt es: Le pont vagrandir. / Die Brücke wird wachsen. Dass wir am 15.01.2023 in Deutschland landen, erscheint als weiteres Kapitel in unserem Buch, das noch viele freie Seiten hat.

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